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IT in der Kleinwasserkraft: Virtualisierung, Open Source und Souveränität

Energieversorger sehen sich mit der Her­ausforderung konfrontiert, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig die Energiewende voranzu­treiben. Dabei wird die digitale Sammlung und Verarbei­tung von Daten nicht mehr als Option, sondern als Not­wendigkeit betrachtet. Die Verarbeitung riesiger Datenmengen von z.B. intelligen­ten Stromzählern (Smart Metern) sowie von Wasserkraft-, Kleinwasserkraft-, Wind- und Photovoltaikanlagen erfor­dert eine leistungsfähige und skalierbare IT-Infrastruktur. Diese können oder wollen besonders kleine Unternehmen oder einzelne Kraftwerksbetreiber*innen nicht selbst be­treiben.

Das Fundament der Digitalisierung: Die Dominanz der US-Giganten

Was oft übersehen wird: Die Abhängigkeit geht tiefer als nur die Nutzung einer bestimmten Software. Nahezu die gesamte digitale Welt basiert auf der Infrastruktur einer Handvoll amerikanischer Unternehmen, den sogenannten „Hyperscalern“. Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure und die Google Cloud bilden das Rückgrat des Internets und des Cloud-Computing. Selbst wenn ein österreichisches Unternehmen eine Softwarelösung von einem europäischen Anbieter kauft, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Anwendung im Hintergrund auf den Servern von AWS, Azure oder Google läuft. Diese Konzerne dominieren den Markt für „Infrastructure as a Service“ (IaaS) so stark, dass es kaum ein Vorbeikommen gibt. Diese fundamentale Abhängigkeit bedeutet, dass Störungen oder strategische Entscheidungen bei diesen wenigen USAnbietern weitreichende Konsequenzen für unzählige Unternehmen in Europa haben können.

Das juristische Damoklesschwert: der US Cloud Act

Viele Anbieter von Cloud-Diensten kommen aus den USA, weil Start-ups in der Technologiebranche auf der anderen Seite des Atlantiks besser gefördert werden als in der EU. Unternehmen wie Google, Amazon und Microsoft sind Marktführer bei Cloud-Lösungen und Datenverarbei­tungszentren. Google Cloud, Amazon AWS und Microsoft Azure sind die globalen Vorreiter der Digitalisierung. Für diese Unternehmen gelten jedoch nur die Gesetze des Landes, in dem sie Daten speichern oder verarbeiten. Da diese Unternehmen ihren Hauptsitz in den USA haben, gelten auch die dortigen Gesetze. Der „Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act“ (CLOUD Act) ermächtigt US-Behörden, von US-amerikanischen Unternehmen die Herausgabe von Daten zu verlangen, die diese kontrol­lieren. Dies gilt unabhängig davon, wo auf der Welt die Daten physisch gespeichert sind, also auch, wenn sie sich auf Servern im Ausland befinden. Durch diese und an­dere Hintertüren kann die US-amerikanische Regierung beispielsweise Konten sperren lassen, so wie es mit dem Microsoft-Konto des Chefanklägers am Internationalen Gerichtshof in Den Haag geschehen ist.

Die Möglichkeit der US-Regierung, den Betrieb digitaler Systeme von Unternehmen und Organisationen zu unterbrechen, ist ein erhebliches Risiko für die Versorgungssicherheit. Betroffen davon ist vor allem die kritische Infrastruktur, etwa im Energie- und Wassersektor. Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit deutlich, die eigene digitale Souveränität zu stärken und die Abhängigkeit von US-Technologien zu reduzieren. Angesichts der bekannten Risiken wächst in Europa das Bewusstsein die Kontrolle über die eigene Dateninfrastruktur zurückzugewinnen. Es gibt Alternativen, die schrittweise zu einer robusten und unabhängigen digitalen Umgebung führen.

Die Suche nach Alternativen: europäische Server- und Cloud-Anbieter

Der erste und wichtigste Schritt ist die Wahl des Standorts. Anstatt auf die Hyperscaler aus den USA zu setzen, bieten zahlreiche europäische Unternehmen Cloud-Infrastrukturen an, die ausschließlich europäischem Recht unterliegen. Anbieter wie beispielsweise Hetzner (DE), IONOS (DE), Strato (DE), OVHcloud (FR), Hostinger (LTU) oder Infomaniak (CH) werben aktiv mit DSGVO-Konformität und der Freiheit von Gesetzen wie dem CLOUD Act. Sie bilden das Fundament für eine souveräne IT.

Die Kontrolle zurückgewinnen: Virtualisierung von Infrastrukturen

Ein entscheidender technischer Schritt zur Effizienzsteigerung und Kostenkontrolle ist die Virtualisierung. Anstatt für jeden Dienst einen eigenen physischen Server zu betreiben, ermöglicht Virtualisierung, mehrere virtuelle Maschinen auf einer einzigen Hardware auszuführen. Anstatt also beispielsweise fünf verschiedene physische Server parallel zu betreiben (etwa einen für E-Mails und einen anderen für die Webseite, usw.), werden auf einer einzigen, rechenstarken Maschine fünf getrennte, virtuelle Instanzen gleichzeitig ausgeführt, die sich die Hardware-Ressourcen teilen. Dies kann die Skalierbarkeit, Agilität und Flexibilität erhöhen und gleichzeitig zu erheblichen Kosteneinsparungen führen. Man profitiert von einer größeren Workload-Mobilität, einer verbesserten Leistung, einer höheren Verfügbarkeit von Ressourcen und einer Auto­matisierung des Betriebs.

Oft werden dafür US-Plattformen wie Microsoft Azure oder VMware ESXi verwendet. Leistungsstarke Open- Source-Virtualisierungsplattformen wie Proxmox oder oVirt bieten gute Alternativen, um die eigene Infrastruk­tur effizient und souverän zu verwalten – unabhängig und datenschutzkonform in der EU.

Übergreifende Initiativen und Kompromisslösungen

Neben diesen direkten Umsetzungsschritten gibt es größere, strategische Ansätze:

  • Gaia-X Initiative: Dies ist ein europäisches Großprojekt mit dem Ziel, eine vernetzte, offene und sichere Dateninfrastruktur zu schaffen. Statt eines zentralen Anbieters soll ein dezentrales System entstehen, das auf gemeinsamen Standards für Datensouveränität und Interoperabilität basiert.
  • Sovereign Clouds: Als Reaktion auf die europäische Nachfrage bieten auch US-Konzerne wie Microsoft sogenannte „Sove­reign Cloud“-Lösungen an. Da­bei werden die Daten in einem europäischen Rechenzentrum von einem europäischen Treu­händer (z.B. der Deutschen Telekom) verwaltet. Ob diese Konstruktion einem Zugriff durch US-Behörden im Ernstfall standhalten würde, ist unter Jurist*innen jedoch umstritten

 

Die Macht von Open Source: Mehr als nur kostenlose Software

Ein zentraler Pfeiler fast aller genannten souveränen Lösungen ist Open Source. Ein offener Quellcode ist nicht nur eine Frage der Kosten, sondern vor allem eine der Transparenz und Sicherheit. Im Gegensatz zu „proprietärer“ Software, deren Funktionsweise ein Betriebsgeheimnis des Herstellers ist, kann Open-Source-Software von jedem eingesehen, überprüft und modifiziert werden. Für kritische Infrastrukturen wie die Energieversorgung hat das entscheidende Vorteile.

  • Keine versteckten Hintertüren: Die weltweite Gemeinschaft von Entwickler*innen und Sicherheitsexpert*innen kann den Code auf Schwachstellen und unerwünschte Funktionen (z.B. Datenabflüsse) überprüfen.
  • Vermeidung von Vendor-Lock-In: Man ist nicht an einen einzigen Hersteller und dessen Preispolitik, Produktzyklen oder strategische Entscheidungen gebunden. Der Dienstleister kann gewechselt werden, ohne die Software aufgeben zu müssen.
  • Schnelle Sicherheitsupdates: Sicherheitslücken werden oft schneller durch die Community entdeckt und geschlossen, als es bei einem einzelnen Unternehmen der Fall wäre.

Cybersecurity: Die logische Konsequenz der Souveränität

Digitale Souveränität ist kein Selbstzweck, sondern eine direkte Voraussetzung für robuste Cybersecurity. Wer die Kontrolle über seine Infrastruktur hat, kann sie auch effektiv schützen. Ein Energiebetreiber, der seine Daten auf einer eigenen, souveränen Plattform verwaltet, hat die volle Kontrolle über den Datenfluss, die Zugriffsberechtigungen und die Sicherheitsarchitektur. Im Krisenfall, etwa bei einem großflächigen Cyberangriff oder geopolitischen Spannungen, bleiben die Systeme funktionsfähig und unterliegen der eigenen Verfügungsgewalt – unabhängig davon, ob ein ausländischer Anbieter seinen Dienst einstellt oder von staatlichen Maßnahmen betroffen ist.

Der menschliche Faktor: Souveränität braucht Kompetenz

Der Wechsel zu einer souveränen IT-Infrastruktur ist nicht nur eine technische, sondern auch eine organisatorische und personel­le Herausforderung. Die Verwal­tung eigener Server und Open-Source-Lösungen erfor­dert internes Fachwissen. Anstatt sich vollständig auf den Support eines großen Anbieters zu verlassen, wird die Investition in die Aus- und Weiterbildung eigener IT-Fachkräfte zum strategischen Erfolgsfaktor. Dieser Aufbau von Know-how im eigenen Haus ist zwar initial aufwendiger, schafft aber langfristig eine enorme Wider­standsfähigkeit und Unabhängigkeit. Es ist die mensch­liche Kompetenz, die aus souveräner Technologie eine gelebte und sichere Praxis macht.

Strategische Weichenstellung

Für heimische Energiebetreiber bedeutet die Digitalisierung eine strategische Gratwanderung. Die technologischen Vorteile und die Marktreife der US-Angebote sind verlockend, doch die Risiken für die Versorgungssicherheit und die Datenhoheit sind nicht zu unterschätzen. Wie die aufgezeigten Alternativen beweisen, ist eine bewusste Entscheidung für europäische und Open-Source- Lösungen heute kein Hindernis mehr.